7 Tage ohne Handy
„Es nervt, wenn im Schulbus alle am Handy sind, und ich als Einzige keines habe!“ (Anna*, 15 Jahre)
Bei unserem Medienexperiment haben 17 Liechtensteiner SchülerInnen im Juni 2025 ihre Handys für 7 Tage im Kinderschutz-Büro abgegeben.
Während dieser Woche beobachteten sie gemeinsam mit ihren Eltern ihre Gefühlslage, Konzentrationsfähigkeit, ihren Schlaf, aber auch wann ihnen das Handy am meisten fehlte, welchen Aktivitäten sie nach der Schule nachgingen und wie sie ohne Handy soziale Kontakte pflegten. Alle diese Punkte wurden von den Teilnehmenden und deren Eltern in kurzen täglich auszufüllenden Fragebögen erfasst.
Dabei stellten alle – Eltern, Kinder und Jugendliche – fest, wie sehr sie sich an die Handys im Alltag gewöhnt haben. Diese dienen schon lange nicht mehr nur als Kommunikationsgeräte sondern auch als Wecker, zum Musikhören, zum Gamen, als Fotoapparat, Videokamera, … und fehlen wenn die Kollegen am Handy sind aber auch dann, wenn sich kurzfristige Änderungen im Tagesablauf ergeben.
Mit Smartphone ist es ganz einfach, sich zu finden, mal schnell den Busfahrplan nachzuschlagen, oder Bescheid zu geben, dass man sich verspätet. Natürlich geben sie allen Beteiligten auch zusätzlich Sicherheit, da man theoretisch jederzeit die Kinder bzw. Eltern kontaktieren kann. Auf der anderen Seite bieten sie durch ihre vielfachen Funktionen auch andauernde Ablenkung und ziehen Kinder und Jugendliche besonders über Social Media und Gaming-Apps und deren Algorithmen in ihren Bann.
Deshalb waren wir gespannt darauf, wie es Kindern & Eltern ohne die Geräte gehen würde und welche Diskussionen das fehlende Handy in den Familien auslösen würde.
Gefühlslage: entspannt und fröhlich
Wohl auch aufgrund der Jahreszeit – kurz vor den Sommerferien; die meisten Schulaufgaben des Schuljahres waren bereits geschrieben – ergab sich bei den Teilnehmenden in punkto Gefühlslage in der handyfreien Woche ein sehr entspanntes Bild. Nur ein einziges Mal wurde bei der Frage nach dem stärksten Gefühl „gestresst“ genannt – „entspannt“ dagegen 50mal, dicht gefolgt von „fröhlich“ (45mal). Eine Mutter kommentierte ihr Kind sei ohne Handy: (…) „zwar manchmal gelangweilt, aber deutlich weniger gereizt“ also sonst.
Hohe Konzentrationsfähigkeit & erholsamer Schlaf
Auf einer Skala von 0 (schlecht) bis 10 (sehr gut) lag der Mittelwert der Antworten auf die Frage „Wie gut konntest du dich heute konzentrieren?“ bei 7,9 und auf „Wie erholsam war dein Schlaf in der letzten Nacht?“ bei 7,8 – wobei auffiel, dass der Schlaf von den Teilnehmenden besonders am Wochenende als wesentlich erholsamer bewertet wurde als an Schultagen.
Fast alle machen nach der Schule regelmässig Sport
Nach der Schule und am Wochenende machte ein Grossteil der Teilnehmer regelmässig Sport – sie spielten zum Beispiel Tennis und Fussball, gingen ins Schwimmtraining und ritten. Die am zweitmeisten genannte Aktivität nach der Schule und am Wochenende war Lernen bzw. Hausaufgaben machen – gefolgt von Musik, Familienzeit & dem Kümmern um Haustiere.
Wenn alle am Handy sind …
„Wann hast du das Handy am meisten vermisst?“ fragten wir und bekamen als häufigste Antworten „in der Schule (Pausen) und im Schulbus“ zu hören. Ausserdem fehlte das Handy, wenn spontan Kontakt zu Kollegen aufgenommen werden sollte, und des öfteren wurde das „Nicht-im-Klassenchat-sein“ bemängelt.
Back to the roots – Festnetz, Briefe und persönliche Besuche
Soziale Kontakte wurden von den Teilnehmenden während der handyfreien Woche primär in der Schule und beim Sport, also persönlich, gepflegt. Das spontane „Abmachen“ nach der Schule und am Wochenende gestaltete sich deutlich schwieriger … als Alternativen zum Handy nutzten die Schülerinnen und Schüler teilweise den Teams-Chat am Schullaptop, aber auch das Festnetz-Telefon zu Hause. Immerhin elfmal gingen die Teilnehmenden spontan bei der Person, die sie kontaktieren wollten, persönlich zu Hause vorbei und ein Mädchen schrieb ihren Kolleginnen sogar Briefe.
Insgesamt kamen die Teilnehmenden am Experiment gut klar während der handyfreien Woche und niemand brach es ab. Viele Eltern stellten dabei fest, dass das Handy der Kinder nicht „nur nervt“ sondern auch ihnen Sicherheit gibt – indem sie die Kinder jederzeit kontaktieren können und wissen wo sie sind. Ohne diese müssen Treffpunkte viel besser und genauer ausgemacht werden und insbesondere dann, wenn Kinder einen Bus verpassten oder sich kurzfristige Änderungen ergaben merkten unsere Probanden, wie sehr sie sich an das Handy im Alltag gewöhnt haben und im Normalfall darauf verlassen.
In allen Familien löste das Experiment eine intensive familiäre Auseinandersetzung mit dem Thema digitale Medien, Handynutzung und Bildschirmzeiten aus und das eigene Handyverhalten und das der Geschwister wurde hinterfragt und besprochen.
Handys bieten viele praktische Anwendungen – und trotzdem ist Vorsicht geboten
Während viele Anwendungen auf Smartphones praktisch sind und im Alltag einen definitiven Nutzen bieten ist es wichtig, dass Eltern und Kinder sich auch über die von den Geräten ausgehenden Gefahren bewusst sind. Es ist notwendig, dass sich Eltern mit der digitalen Welt, in der sich die Kinder bewegen, auseinandersetzen – und zwar idealerweise bevor das Kind ein eigenes Smartphone bekommt.
Was Eltern tun können – Schutz durch Beziehung und Wissen
Viele Eltern fühlen sich unsicher in der digitalen Welt ihrer Kinder. Aber: Sie müssen keine Experten für jede App sein – sie müssen vor allem verlässliche Gesprächspartner sein.
Interesse statt Kontrolle
Was machst du gerade online? Wie fühlst du dich dabei?
Regeln gemeinsam entwickeln
Es ist wichtig altersgerechte Regeln aufzustellen. Dazu gehören Nutzungszeiten, digitale Ruhezeiten, Notfallstrategien.
Gemeinsame Medienprojekte fördern Kompetenz
Wir empfehlen, regelmässig mit Kindern und Jugendlichen über Themen wie Datenschutz, Bildrechte, online Challenges, respektvolles Verhalten online sprechen und hier eventuell auch aktuelle Beispiele besprechen. Eine aktive Auseinandersetzung mit Medien kann das Verständnis und die Reflexion fördern. Eltern können mit ihren Kindern eigene kreative Projekte starten, wie beispielsweise das Erstellen eines Fotos oder Videos mit einer Botschaft, das Gestalten einer digitalen Collage oder sogar das gemeinsame Programmieren einer kleinen Anwendung. Dies stärkt nicht nur die Medienkompetenz sondern auch die Bindung zwischen Eltern und Kindern.
Gemeinsames Lernen
Medienkompetenz ist ein Prozess, und Eltern sollten sich nicht scheuen, gemeinsam mit ihren Kindern zu lernen. Kurse oder Workshops – sei es online oder offline – können eine Gelegenheit bieten, sich weiterzubilden und neue Perspektiven auf digitale Themen zu gewinnen.
Kritisches Hinterfragen von Medieninhalten
Eltern können ihre Kinder ermutigen, die Inhalte, die sie online konsumieren, kritisch zu betrachten. Fragen wie „Was ist die Absicht hinter diesem Beitrag?“ oder „Welche Emotionen sollen, hier ausgelöst werden?“ helfen Heranwachsenden dabei, manipulative Mechanismen zu erkennen.
Offene Kommunikation über Gefahren
Kinder und Jugendliche sollten altersgerecht über mögliche Risiken wie Cybermobbing, Grooming, Sextortion oder Datenschutzprobleme informiert werden. Das Ziel ist nicht, Angst zu machen, sondern Werkzeuge an die Hand zu geben, damit Situationen selbstbewusster und sicherer bewältigt werden können.
Vorbildfunktion
Eltern sollten selbst ein verantwortungsbewusstes Verhalten in der digitalen Welt vorleben. Dazu gehört auch die eigene Bildschirmzeit kritisch zu hinterfragen, respektvoll online zu kommunizieren und Datenschutz ernst zu nehmen. Kinder und Jugendliche lernen durch Nachahmung.
Stärkung des Selbstwertgefühls
Ein starkes Selbstbewusstsein hilft Kindern, sich gegen Manipulation und sozialen Druck zu wehren. Eltern können ihr Kind durch Lob für seine Persönlichkeit und Fähigkeiten stärken und ihm den Wert von Offline-Erlebnissen nahebringen.
Familienaktivitäten ohne Bildschirme
Regelmäßige Aktivitäten bei denen keine Medien genutzt werden bieten eine wichtige Abwechslung zur digitalen Welt. Gemeinsame Spaziergänge, Spieleabende oder sportliche Unternehmungen fördern die Bindung und zeigen Kindern, dass es spannende Alternativen zur Zeit am Bildschirm gibt.
Technische Schutzmaßnahmen
Während Vertrauen und Offenheit wichtig sind können technische Hilfsmittel zusätzliche Sicherheit bieten. Eltern könnten beispielsweise altersgerechte Kinderschutzsoftware installieren, Inhalte filtern oder Bildschirmzeiten mit Apps überwachen, ohne dabei die Privatsphäre der Kinder komplett zu verletzen.
Förderung von Offline-Freundschaften
Kinder sollten dazu ermutigt werden, ihre Zeit auch mit realen FreundInnen zu verbringen und nicht ausschließlich Online-Kontakte zu pflegen. Offline-Freundschaften helfen dabei, ein gesünderes soziales Gleichgewicht zu finden und die Abhängigkeit von virtuellen Interaktionen zu minimieren.
Emotionale Unterstützung
Wenn Kinder oder Jugendliche negative Erfahrungen in der digitalen Welt machen, brauchen sie einen sicheren Raum, um darüber zu sprechen. Eltern sollten zuhören, ohne Vorwürfe zu machen, und Lösungsstrategien anbieten, um den Kindern wieder Sicherheit zu geben.
Diese zusätzlichen Tipps unterstreichen, dass der Schlüssel zur digitalen Sicherheit und Kompetenz nicht nur in Regeln und Kontrolle liegt, sondern vor allem in der Beziehung und dem Dialog zwischen Eltern und ihren Kindern. Nur durch Vertrauen, Verständnis und Begleitung können Kinder die digitale Welt sicher und selbstbewusst erkunden.
Wichtig – Warnzeichen erkennen und ggfs. Hilfe holen:
Rückzug, Nervosität beim Handy, Leistungseinbrüche sind Anzeichen für Probleme oder Suchtgefahren, Kinder und Jugendliche können sich daraus allein nicht befreien. Holen sie Hilfe bei Beratungsstellen, Schulsozialarbeit, PsychologInnen.
Denn Prävention beginnt nicht am Bildschirm – sondern in der Beziehung.
* Name geändert