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Zwischen Sehnsucht und Gefahr

Was Eltern aus der Serie “Adolescence” und der Realität zum Thema Cybermobbing lernen können

Die Serie “Adolescence” (Netflix) erzählt die Geschichte eines Jugendlichen, der auf der Suche nach sich selbst in eine toxische Beziehung gerät – emotional, digital, und schließlich gefährlich. Was als Sehnsucht nach Zugehörigkeit beginnt, endet in psychischer Abhängigkeit, Selbstverletzung, Isolation und einem Gewaltverbrechen. Die digitale Welt, die auf den ersten Blick Trost und Verbindung bietet, wird zur Falle. Diese Geschichte ist fiktiv – aber sie spiegelt eine Realität wider, in der sich viele Kinder und Jugendliche heute bewegen.

So wie Daniel M., ein 11-jähriger Junge aus Berlin, der 2014 durch massives Cybermobbing in Klassen-WhatsApp-Gruppen in eine tiefe seelische Krise geriet. Beleidigungen, Ausgrenzung, psychischer Druck – obwohl seine Eltern Hilfe suchten, geschah zu wenig. Daniel nahm sich das Leben.

Oder Megan Meier, 13 Jahre alt, die in den USA über Monate hinweg online mit einem Jungen namens „Josh“ schrieb. Was sie nicht wusste: Hinter dem Profil steckte die Mutter einer ehemaligen Freundin. Als „Josh“ sich abwendete und sie öffentlich demütigte, zerbrach Megan daran.

Ganz aktuell: Der Amoklauf an einer Schule in Graz im Juni 2025. Ein 21-jähriger Ex-Schüler stürmte seine alte Schule, erschoss zehn Menschen und sich selbst. Die Ermittlungen zeigen: Der Täter war psychisch belastet, in Online-Games und Online-Foren aktiv, verehrte andere Attentäter und fühlte sich lange gemobbt und unverstanden. Auch hier deuteten sich Gefahren früh digital an – und wurden übersehen.

Was nach tragischen Einzelfällen aussieht und sicherlich auch komplexe Ursachen hat deutet doch auf Gefahren hin – deren Ausmass wir Eltern oft nicht kennen oder erkennen.

Cybermobbing ist heute leider Realität. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Cybermobbing ein wachsendes Phänomen ist, besonders unter Kindern und Jugendlichen. In Deutschland gaben laut der JIM-Studie 2023 rund 32 % der befragten Jugendlichen an, bereits Opfer von Cybermobbing geworden zu sein. In der Schweiz zeigt eine Untersuchung von Pro Juventute, dass etwa 20 % der Kinder und Jugendlichen Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht haben, während in Österreich eine Studie der Saferinternet.at-Initiative darauf hinweist, dass etwa 25 % der Jugendlichen von Cybermobbing betroffen sind. Diese Zahlen verdeutlichen, wie allgegenwärtig und schädlich dieses Problem ist und wie dringend Handlungsbedarf besteht.

Die Gehirnentwicklung und Medienkompetenz – Warum ist die digitale Welt so gefährlich für Kinder und Jugendliche?
Die Entwicklung des Gehirns von Kindern und Jugendlichen spielt eine zentrale Rolle dabei, wie sie Medien erleben und erklärt, warum sie den Cyberattacken häufig so hilflos ausgeliefert sind.
Besonders im Alter von 10 bis 25 Jahren durchläuft das Gehirn entscheidende Entwicklungsphasen. Der präfrontale Kortex, verantwortlich für Entscheidungsfindung, Impulskontrolle und Gefahrenbewertung, reift erst gegen Ende dieses Zeitraums vollständig aus. Das bedeutet, dass Jugendliche häufig emotionaler reagieren und Risiken weniger abschätzen können, was sie besonders anfällig für digitale Versuchungen und Manipulationen macht.

Kinder im Alter von etwa 6 bis 10 Jahren beginnen, ihre kognitive Kapazität auszubauen. Sie lernen, Informationen zu verarbeiten, sind jedoch noch nicht in der Lage, komplexe Inhalte ganzheitlich zu beurteilen. In diesem Alter wirkt die digitale Welt oft faszinierend und überwältigend – Spiele und soziale Medien können diese Faszination ausnutzen und erste Abhängigkeiten fördern.

Zwischen 11 und 15 Jahren, in der frühen Pubertät, sind Jugendliche besonders empfindlich gegenüber sozialer Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit. Likes, Kommentare und Online-Bestätigung aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn und setzen Dopamin frei, was zu einem Gefühl von „High“ führen kann. Gleichzeitig steigt das Risiko für exzessive Nutzung oder die Entwicklung von Suchtverhalten, besonders durch Spiele mit Belohnungsschleifen oder soziale Plattformen, die sozialen Druck aufbauen. Das bedeutet: Jugendliche fühlen stark, aber denken Risiken oft nicht zu Ende. Sie handeln impulsiver, überschätzen Nähe in Onlinekontakten und unterschätzen Gefahren.

Im Alter von 16 bis 25 Jahren verlagert sich der Fokus auf Identitätsbildung und Selbstständigkeit. Während viele junge Erwachsene beginnen, Medien kritisch zu nutzen, sind andere durch bestehende Muster wie exzessives Gaming oder die ständige Suche nach Online-Bestätigung bereits in einer Form von psychischer Abhängigkeit gefangen. Das Gehirn ist in dieser Phase noch formbar, was bedeutet, dass sich Gewohnheiten tief einprägen und schwer zu überwinden sind.

Durch diese Entwicklungsstadien hindurch zeigt sich, dass Medienkompetenz nicht nur theoretisches Wissen bedeutet, sondern auch die Fähigkeit, emotionale und soziale Dynamiken zu erkennen und zu regulieren. Eltern und Bezugspersonen spielen hier eine Schlüsselrolle, indem sie präventiv handeln, Gespräche führen und durch stabile Beziehungen eine Orientierung bieten.

Menschen, die Kinder manipulieren oder mobben wollen, nutzen gezielt emotionale Schwächen aus. Sie bauen Vertrauen auf, geben Komplimente, zeigen Verständnis – um dann Druck auszuüben, Schuldgefühle zu erzeugen oder Drohungen auszusprechen. Täter arbeiten mit emotionaler Abhängigkeit, Angst vor Ausgrenzung oder der Bloßstellung intimer Bilder.

Kinder und Jugendliche können diese Dynamiken oft nicht rechtzeitig erkennen – sie fühlen sich verantwortlich, schämen sich oder fürchten, dass sie selbst schuld an der Situation sind.

Cybermobbing ist besonders zerstörerisch, weil es nie aufhört. Im Gegensatz zum Mobbing auf dem Schulhof ist es rund um die Uhr präsent. Es ist unsichtbar, massiv, schnelllebig, dauerhaft – und trifft Jugendliche in ihrer sensibelsten Entwicklungsphase.

Was sind Warnzeichen, auf die Eltern achten sollten?
Die Warnzeichen für Cybermobbing sind oft subtil, aber es gibt sie und Eltern sollten darauf achten.

  • Verändertes Verhalten: Kinder wirken plötzlich zurückgezogen, ängstlich oder gereizt, besonders nach der Nutzung digitaler Geräte.
  • Verlust von Interesse: Aktivitäten, die früher Freude bereiteten, werden gemieden, und das Kind zeigt weniger Begeisterung.
  • Plötzliche Geheimniskrämerei: Das Kind vermeidet Gespräche über seine Online-Aktivitäten oder reagiert defensiv, wenn das Thema zur Sprache kommt.
  • Veränderte Schlafgewohnheiten: Schlaflosigkeit oder Albträume können ein Hinweis auf Stress durch negative Online-Erfahrungen sein.
  • Körperliche Symptome: Häufige Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder andere psychosomatische Beschwerden können auftreten.

Es ist dennoch wichtig, ein gesundes Augenmaß zu bewahren. Nicht jede Verhaltensänderung im Teenageralter ist automatisch ein Hinweis auf Cybermobbing. Jugendliche durchlaufen eine Phase intensiver emotionaler und körperlicher Entwicklung, die oft mit Stimmungsschwankungen und veränderten Interessen einhergeht. Eltern sollten daher darauf achten, Veränderungen im Verhalten ihres Kindes nicht übereilt zu interpretieren, sondern zunächst offen und ohne Vorurteile nachzufragen. Es geht darum, eine Balance zu finden zwischen Wachsamkeit und Vertrauen, ohne die Privatsphäre des Kindes zu verletzen.

Warum Prävention bei Cybermobbing im Elternhaus so wichtig ist
Cybermobbing ist ein Phänomen, das in unserer zunehmend digitalen Welt immer mehr an Bedeutung gewinnt. Seine Auswirkungen können für Kinder und Jugendliche tiefgreifend und belastend sein, weshalb Prävention im familiären Umfeld eine Schlüsselrolle spielt. Das Elternhaus stellt die erste und wichtigste Schutzmauer dar, um Kinder vor den negativen Folgen von Cybermobbing zu bewahren.

Früherkennung durch offene Kommunikation
Eine präventive Herangehensweise ermöglicht es Eltern, frühzeitig Warnzeichen für Cybermobbing zu erkennen. Regelmäßige Gespräche über die Online-Welt, Erlebnisse und Herausforderungen schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens. Kinder und Jugendliche fühlen sich ermutigt, offen über Probleme zu sprechen, bevor sie eskalieren. Dadurch können Eltern frühzeitig eingreifen und notwendige Maßnahmen ergreifen.

Stärkung des Selbstbewusstseins
Prävention umfasst auch die Förderung des Selbstwertgefühls von Kindern. Ein starkes Selbstbewusstsein hilft ihnen, Mobbingversuchen besser zu begegnen und sich gegen schädliches Verhalten zu behaupten. Eltern können dies unterstützen, indem sie ihre Kinder in ihrer Einzigartigkeit bestärken und ihnen zeigen, dass sie immer auf Rückhalt zählen können.

Förderung von Medienkompetenz
Ein zentraler Aspekt der Prävention ist die Bildung von Medienkompetenz. Kinder und Jugendliche sollten lernen, Inhalte im Internet kritisch zu hinterfragen, manipulative Mechanismen zu erkennen und Informationen bewusst zu teilen. Eltern können hierbei eine Vorbildfunktion einnehmen, indem sie selbst reflektiert mit digitalen Medien umgehen und ihre Kinder aktiv anleiten.

Schaffung sicherer Online-Gewohnheiten
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Prävention ist die Etablierung von altersgerechten Regeln für den Umgang mit digitalen Medien. Diese umfassen die Festlegung von Nutzungszeiten, digitale Ruhephasen und den bewussten Umgang mit persönlichen Daten. Durch diese Maßnahmen können Kinder lernen, ihre Online-Zeit sicher und verantwortungsvoll zu gestalten.

Der präventive Ansatz im Elternhaus wirkt nicht nur kurzfristig, sondern hat auch nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Sie lernen, Konflikte angemessen zu lösen, Resilienz zu entwickeln und digitale Herausforderungen eigenständig zu meistern. Gemeinsam mit Eltern entwickelte Strategien stärken zudem das Gefühl der Sicherheit und Handlungsfähigkeit.

Was können Eltern tun, wenn sie konkret Cybermobbing vermuten?

  • Ruhe bewahren: Eltern sollten ihrem Kind zunächst zuhören und Verständnis zeigen. Es ist wichtig, nicht impulsiv zu reagieren, sondern rational und unterstützend zu handeln.
  • Beweise sammeln: Screenshots oder andere Dokumentationen der Vorfälle können hilfreich sein, um die Situation zu bewerten und gegebenenfalls an die Schule oder Plattformbetreiber weiterzuleiten.
  • Kontakt zu Plattformen: Eltern sollten die Betreiber sozialer Netzwerke oder Spieleplattformen informieren. Viele Plattformen bieten Meldeoptionen für beleidigende Inhalte.
  • Professionelle Hilfe suchen: Bei schwerwiegendem Cybermobbing kann die Unterstützung von Schulberatern, Psychologen oder spezialisierten Organisationen hilfreich sein.
  • Gemeinsam eine Strategie entwickeln: Eltern und Kinder können zusammen planen, wie künftig auf ähnliche Situationen reagiert werden soll, um das Selbstbewusstsein des Kindes zu stärken

Fazit
Prävention vor Cybermobbing ist im Elternhaus von entscheidender Bedeutung, um Kinder vor den potenziell schädlichen Auswirkungen zu schützen und ihre Fähigkeiten für einen sicheren Umgang mit der digitalen Welt zu fördern. Durch offene Kommunikation, die Vermittlung von Medienkompetenz und die Unterstützung bei der Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins können Eltern eine stabile Grundlage schaffen, auf der ihre Kinder sicher und selbstbewusst die Herausforderungen der digitalen Welt meistern. Prävention ist somit nicht nur Schutz, sondern auch eine Investition in die Zukunft der Kinder.

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